MEINE GESCHICHTE




Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich permanent in einem Zustand maßloser Erschöpfung, den Sie sonst allenfalls von einer Virusgrippe her kennen. Diese Erschöpfung lähmt Ihren Körper und Geist, löst ein unerträgliches zerrendes Gefühl aus und bessert sich nicht einmal durch Schlaf. Sie wollen sich die Schuhe anziehen und fühlen sich danach, als seien Sie im Fitnessstudio 1h auf dem Laufband gewesen – Ihr Herz rast und Sie müssen sich hinsetzen, weil Ihre Energie durch das bloße Bücken bereits verbraucht ist. Sie waschen sich die Haare und haben danach nicht mehr die nötige Kraft, sie zu föhnen. Sie müssen sich oft selbst in Ihrer Wohnung jeden Weg genau überlegen, weil die Kraft nicht für mehrere Anläufe reicht. Sie haben Hunger, schaffen es mit Ach und Krach sich etwas zu Essen zu machen, und können dann nicht einmal mehr die Gabel halten. Das Überwinden einer Treppe in die 1. Etage wird fast zu einem Ding der Unmöglichkeit: Sie bekommen Atemnot, Ihre Beine versagen und Sie bekommen Schmerzen im Brustkorb. Dazu ist Ihnen schwindlig, Sie haben Herzrasen, erhöhte Temperatur, dicke Lymphknoten und Halsschmerzen, jede Faser Ihres Körpers schmerzt. Sie bekommen nach fast jedem Essen Darmkrämpfe und haben fast täglich Kopfschmerzen. Sie können oft nur noch die nötigsten Dinge verrichten. Sie sind gewungen sich ins Bett zu legen und selbst dadurch bessert sich Ihre Symptomatik nicht. Trotz der überwältigenden Abgeschlagenheit sind Sie gleichzeitig so überreizt, dass Sie nicht schlafen können. Ihr ganzer Körper kribbelt wie eine Brausetablette, Sie haben überall Muskelkrämpfe, Ihnen ist heiß und kalt gleichzeitig. Ein normales Leben ist nicht mehr möglich – alles richtet sich nach Ihrer Krankheit.



All dies ist für mich seit 14 Jahren Alltag. Ich bin 37 Jahre alt und leide seit 1998 an einem postviralen chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS/ME), welches aber erst im Herbst 2009 in der Berliner Charité diagnostiziert wurde. Außerdem wurden verschiedene Immundefekte diagnostiziert, unter anderem ein IgG3-Mangel, den laut Charité ca. 10% der CFS-Kranken vorweisen. Dieser ist vermutlich auch die Erklärung dafür, dass bei mir in den 12 Jahren bei jeder durchgeführten Virusserologie Akut-Titer gegen Epstein-Barr-Viren gefunden wurden. Der Erreger wurde sogar mittels eines sog. PCR-Tests direkt im Blut nachgewiesen.



Auch wenn ich rückblickend schon seit meiner Kindheit und Jugend sehr infektanfällig war und einige andere Symptome hatte, so war nach einem Tunesien-Urlaub im Herbst 1998 vermutlich der Ausbruch der Erkrankung. Seither ging es mir nie wieder gut. Noch auf dem Heimweg bekam ich einen Magen-Darm-Infekt, an welchen sich eine Virusgrippe und dann auch noch eine Rippenfellentzündung anschloss. Diese akuten Infekte klangen ab, doch ich fühlte mich noch immer krank, denn das Grippegefühl und die Abgeschlagenheit blieben.



Als ich nach einigen Monaten im Frühjahr 1999 schon wieder eine Virusgrippe sowie eine Rippenfellentzündung bekam, entwickelte ich auch noch Fieber von weit über 40 Grad sowie heftige Kopf-, Rücken- und Beinschmerzen und mein Nacken wurde steif. Ich kam mit Verdacht auf eine Hirnhautentzündung in eine neurologische Klinik. Der Verdacht bestätigte sich nicht, dafür wurde ich aber nach zahlreichen EEGs wegen meiner zuvor nie behandelten Epilepsie auf Antiepileptika eingestellt. Außerdem rieten die Neurologen mir zu einer Psychotherapie, da sie der Meinung waren, dass die Symptomatik bis auf die Epilepsie psychisch bedingt sei.



Ich begab mich also im Anschluss in eine psychosomatische Klinik. Doch die körperlichen Symptome ließen nicht nach, im Gegenteil. Mittlerweile schmerzte mein ganzer Körper – die Muskeln, die Gelenke; ich hatte ohne definierbaren Auslöser im ganzen Körper Muskelkater. Ich konnte nicht mehr sitzen, weil mein Steißbein so schmerzte und nicht mehr gehen, weil meine Knie weh taten. Im Bett konnte ich nicht mehr auf der Seite liegen, weil dies die Schmerzen in meinen Schultern noch verstärkte. Infekte unterschiedlicher Art wechselten weiterhin einander ab – Ich hatte ständig Erkältungen, die jedes Mal mit einer akuten eitrigen Bronchitis, Nasennebenhöhlenvereiterung sowie Mittelohrentzündung und sogar einer Lungenentzündung einhergingen. Ich war nicht einmal 1 Woche gesund ohne dass direkt der nächste Infekt folgte. Ich nahm permanent Antibiotika. Meine Zähne eiterten, ein Harnwegsinfekt wurde zum Dauerzustand, dazu kamen ständig wieder aufflackernde Halsentzündungen und Bindehautentzündungen. Ich nahm in rasanter Geschwindigkeit 20 kg ab, so dass ich bei 1,66 nur noch 45 kg wog. Die Oberbauchschmerzen waren oft nicht mehr auszuhalten, so dass ich kaum noch etwas essen konnte und das den Gewichtsverlust noch verstärkte. Eine unerträgliche Erschöpfung entwickelte sich. Diese kannte ich zuvor nur von einer akuten Virusgrippe, doch sie wurde nun zum Dauerzustand.



Laut der Therapeuten waren jedoch alle diese Symptome psychisch bedingt. Auch die Epilepsie, die zuvor zum wiederholten Mal diagnostiziert wurde, stellten sie in Frage und vermuteten aufgrund meiner Gewichtsabnahme sogar eine Essstörung, die ich nie hatte. In den Gesprächen standen meine Symptome im Vordergrund, da ich diese nicht aushalten konnte. Immer mehr verstärkte sich die Meinung der Therapeuten: Ich sei in Gesprächen nur auf meine Symptome fixiert und wolle damit sicher von meinen eigentlichen Problemen ablenken. Ich war monatelang in Therapie, doch mir ging es immer schlechter. Die Schwäche war mittlerweile so extrem, dass ich mir zwischen den Therapien für wenige Minuten den Wecker stellte, um liegen zu können und ich schlief sogar ein. Ich baute immer mehr ab, da mich das straffe Therapieprogramm körperlich massiv überforderte.



Ende 2000 kamen nach einer 3 Monate dauernden Bronchitis, gegen die kein Antibiotikum mehr half, auch noch Herzprobleme hinzu. Mein Ruhepuls lag permanent bei weit über 100, oft sogar bei über 160 Schlägen in der Minute und kletterte während geringer Belastung auf über 200 Schläge. Dazu kamen starke Schmerzen im Brustkorb - anfangs nur, sobald ich mich belastete, später auch wenn ich mich ruhig verhielt. Die maßlose Erschöpfung war nun so schlimm, dass ich mich nicht einmal mehr bücken oder wenige Schritte gehen konnte, ohne dass mir der Schweiß ausbrach, mein Herz raste und ich fix und fertig war. Ein Kardiologe vermutete eine Herzmuskelentzündung, die aber weder bewiesen noch widerlegt werden konnte – ich solle mich “einfach ein wenig schonen und keinen Sport treiben”.



Etwas anderes als mich zu “schonen” konnte ich zu diesem Zeitpunkt sowieso schon nicht mehr. Die Symptome verstärkten sich immer mehr. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, ab dem ich dann das erste Mal richtig bettlägerig wurde. Obwohl ich von meinem Gesundheitszustand und dem Verdacht auf die Herzmuskelentzündung erzählte,  sollte an diesem meine seit längerem geplante Zahnsanierung stattfinden. Mir wurden während einer 6-stündigen Prozedur alle 15 Amalgamfüllungen ohne Schutz herausgebohrt,  die Zähne abgeschliffen und Keramikfüllungen eingeklebt. Ich bekam eine Betäubungsspritze nach der nächsten, da sie nicht mehr wirkten. Mein Mund brannte, juckte und schwoll an, mein Blutdruck rauschte in den Keller, ich hatte starkes Herzrasen und Schwindel, kämpfte permanent gegen eine Ohnmacht an und musste dauernd zur Toilette. Die Zahnärztin setzte ihre Behandlung aber unbeirrt fort.



Das Ganze hatte mir den Rest gegeben. Ich fuhr mit einem Taxi nach Hause und konnte ab diesem Tag an nicht mal mehr aufrecht im Bett sitzen. Ich hatte viel Blut im Urin und es befanden sich fortan Unmengen an "Fetzen" in ihm. Zum Glück kümmerten sich ein paar Freundinnen um mich, begleiteten mich zur Toilette, kochten mir Essen – doch ich hatte keine Kraft die Gabel zu halten, sodass ich sogar gefüttert werden musste. Ich wechselte die Zahnärztin, weil seit der Sitzung mein ganzer Mund entzündet war und auch die Brücken nicht richtig saßen und ich seitdem völlig falsch aufbiss. Die Entzündung wurde ich bis zum heutigen Tag nicht los. Diese neue Zahnärztin verwies mich mit Verdacht auf eine Quecksilberintoxikation an einen befreundeten Internisten. Dieser bestätigte nach einigen Tests die Diagnose.



Den nun folgenden Teil wollte ich eigentlich gar nicht in die Beschreibung meiner Geschichte mit aufnehmen, da dieses Thema bis heute sehr umstritten ist. Der Vollständigkeit halber habe ich nun aber doch umentschieden. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich hier nüchtern Fakten und die Diagnosen der Ärzte wiedergebe und nicht meine eigene Meinung oder "Eigendiagnose" - Ich selber weiß bis heute nicht, wie ich diesem Thema gegenüber stehen soll.



Obwohl der Internist anfangs aufgrund meiner bei ihm festgestellten schlechten Nierenwerte dagegen war, startete er dann doch eine “Ausleitung” mit DTPA, einem im Gegensatz zu DMPS hier in Deutschland ungewöhnlichem Medikament, das er aus Polen liefern ließ. Diese Infusionen bekam ich, zusammen mit hoch dosiertem Selen und Vitamin C, über einige Tage. Daraufhin folgten Infusionen mit hoch dosiertem Acetylcystein. Mir ging es immer schlechter. Starker Schüttelfrost kam hinzu und während einer Infusion hörte ich plötzlich alles  viel zu laut und verzerrt und konnte mich nicht mehr bemerkbar machen. Die Epilepsie verschlimmerte sich sehr, da ich noch während meines Aufenthaltes in der psychosomatischen Klinik meine Medikamente absetzen sollte. Ich geriet, auch durch verschiedene direkt auf das Gehirn  wirkende Medikamente, die ich nun erhielt, in einen Dauerzustand von Anfällen. Ich war dadurch geistig wie umnachtet, bekam kaum noch etwas mit und war fast nicht ansprechbar. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich mehr tot als lebendig. Ich konnte nicht mehr für mich sorgen, lag, bis auf die Fahrten zum Arzt, rund um die Uhr im Bett und musste betreut werden. Laut des Internisten sei das während einer "Ausleitung" normal, ich solle mich nur gedulden. Er konnte dann die Behandlung nicht fortsetzen, weil er in Urlaub fuhr und wies mich in eine naturheilkundlich orientierte Klinik ein.



Die durchgeführten Tests, die sowohl in der Klinik als auch bei einem Zahnarzt durchgeführt wurden, zeigten eine stark erhöhte Quecksilber-Belastung. Auch fiel der Zeitpunkt des Beginns meiner ganzen verstärkten Symptomatik im Herbst 1998 mit dem Ziehen von 2 Füllungen ohne Schutz zusammen, so dass die Ärzte dort davon ausgingen, dass nicht die sich an den Urlaub anschließenden Infekte, sondern das Freisetzen von Quecksilber der Auslöser für meinen körperlichen Zustand war. Sie vermuteten sogar, daß eine Belastung durch Quecksilber schon seit meiner Kindheit stattfand (die ersten Füllungen bekam ich mit 10 Jahren und in meiner Kindheit und Jugend zerbrach ich insgesamt 3 Fieberthermometer und hantierte mit den Kügelchen herum) und ich dadurch die seit meiner Kindheit bestehende Epilepsie und Infektanfälligkeit hätte. Sie fragten mich auch nach einer Belastung mit Schadstoffen und neben der Tatsache, dass ich meine Kindheit und Jugend in einem Haus verbrachte, das wahrscheinlich vollkommen mit Holzschutzmitteln belastetem Holz verkleidet war und eine über Jahre defekte Gasheizung mit erhöhtem Kohlenmonoxid-Ausstoß hatte, fiel auch eine erneute Schadstoffbelastung Ende 1998 mit meinem Erkrankungsbeginn zusammen:


Ich war gerade umgezogen und mein neuer Teppich stank erbärmlich und ich bekam bei Berührung sofort einen stark brennenden Ausschlag. Ich lackierte in der ganzen Wohnung die Türen, Fenster und Fußleisten und wurde davon völlig “high”. Dann musste ich, als ich in der Klinik war, meine Wohnung aufgrund einer Fliegenplage auch noch mit 2 Flaschen eines Pestizides einsprühen. Ich verließ sofort die Wohnung und hielt dabei die Fenster geschlossen, konnte dann aber über 3 Wochen hinweg nicht nach Hause und dementsprechend nicht einmal lüften. In den ganzen nächsten Jahren wurde ich jedes Mal, wenn ich mal einen Tag nicht zuhause war und dann in meine Wohnung kam, noch immer noch von einer gewaltigen “Chemiewolke” empfangen, sodass ich erst einmal für mehrere Stunden das Fenster aufreißen mußte. Mir wurde erst durch das Hinterfragen der Ärzte bewußt, dass auch auffällig war, dass selbst mein Besuch jedes Mal bei Betreten meiner Wohnung Heuschnupfen sowie rote, brennende Augen bekam und bleiernd müde wurde. Die Zeit, die bereits seit dieser Schadstoffbelastung in der Wohnung vergangen war und in der ich seitdem lebte, betrug 3 Jahre.



Auch in diesem Krankenhaus ging es immer weiter bergab. Die Infusionstherapie wurde mit ACC fortgesetzt und ich bekam Koriandertabletten zur Ausleitung. Dazu wurden täglich starke Schmerzmittel sowie Medikamente gegen Schwindel und Übelkeit eingesetzt. Die Symptome, die ich schon seit Jahren hatte, verschlimmerten sich extrem und ich ich bekam immer mehr Symptome dazu. Mir schliefen alle Körperteile ständig ein, ich hatte Koordinationsstörungen, gestörte Reflexe und Pupillenreaktionen und in meinen Armen das Gefühl, als würde eiskaltes Wasser hindurchlaufen. Ich fror, hatte Schüttelfrost und war dabei klitschnass geschwitzt. In der Einschlafphase bekam ich plötzlich täglich sehr unangenehme Zustände mit einem Vibrieren und Herzrasen, die ich zwar bemerkte, aber reagieren konnte ich nicht. Wenn diese vorüber waren, war ich wach und wenn ich irgendwann wieder einschlief, wiederholten diese sich. Tagsüber bekam ich merkwürdige Sinnestäuschungen, so als könne mein Gehirn Eindrücke nicht mehr richtig einsortieren. Zum Beispiel kam das, was ich sah, nicht als Bild, sondern als Geräusch an. Ich hatte täglich Migräne mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Licht- und Geräuschempfindlichkeit und bekam dauernd eine Art “Stromschlag” im Kopf, der auch durch Geräusche ausgelöst wurde. Ich vertrug plötzlich die meisten Nahrungsmittel nicht mehr, so dass ich mich dort nur noch von Reis und Tee ernährte. Die Ärzte dort bemerkten auch, daß es mir immer schlechter ging und die Behandlung damit wirkungslos war. Als die Oberbauchschmerzen nicht mehr erträglich waren und Fieber hinzukam, wurde ich in die nächst gelegene Uniklinik verlegt.



Es wurden dann zwar stark erhöhte Leber- und Bauchspeicheldrüsenwerte sowie eine vergrößerte Milz sowie auch vergrößerte Lymphknoten, dazu Blut und Eiweiß im Urin festgestellt, aber eine Ursache konnte auch diesmal schulmedizinisch nicht gefunden werden. Ich wurde nach Hause entlassen.



Eine Krankenhausodyssee begann - entweder wurde ich von meinem Hausarzt eingewiesen oder aber intern von den Ärzten in ein anderes verlegt. Mir ging es immer schlechter und inzwischen hatte ich neben zahlreichen Infekten und den anderen weiterhin bestehenden Symptomen auch noch eine Bauchspeicheldrüsenentzündung bekommen. Doch kein Arzt konnte sich einen Reim auf meinen Zustand machen. Den Verdacht auf Quecksilberintoxikation und Schadstoffbelastung erwähnte ich vorsichtshalber gar nicht mehr, da ich nach dem Aufenthalt in der naturheilkundlich orientierten Klinik schnell die Erfahrung machte, sofort als Hypochonder eingestuft zu werden, obwohl garnicht ich auf den Gedanken gekommen war, sondern die Ärzte selbst.



In dem Jahr entwickelten sich immer mehr Allergien und Unverträglichkeiten, u.a. gegen Nahrungsmittel und auch Medikamente, so dass es selbst bei harmlosen Schmerzmitteln schon zum anaphylaktischen Schock kam. Selbst minimale Dosen von Medikamenten wirkten zudem viel zu stark. Außderdem wurde ich immer geruchsempfindlicher. Beim Autofahren roch ich selbst bei geschlossenen Türen so intensiv die Abgase, dass mir schlecht wurde. Wenn jemand Parfum benutzte ebenfalls. Ich roch plötzlich Dinge, die ich zuvor gar nicht wahrgenommen hatte und zwar in einer Intensität, dass mein ganzer Körper verrückt spielte. Sehr oft fingen meine Schleimhäute an zu brennen wie Feuer. Mein damaliger Hausarzt stellte dann bereits die Diagnose eines CFS-Syndroms und auch eines MCS-Syndroms, machte mir aber auch klar, dass diese Diagnose hier in Deutschland noch nicht anerkannt sei und auch eine Behandlung nicht möglich wäre.



Doch dann wurde direkt darauf Ende 2001 in einer Uniklinik aufgrund Laborbefunden eine beim Menschen sehr selten vorkommende Leptospirose diagnostiziert und die Diagnose des CFS-Syndroms wurde dadurch hinfällig. Alle Symptome würden zur Leptospirose passen. Das Komische war aber, daß bei mir der Akut-Antikörpertiter positiv, der Langzeitantikörper aber negativ war, so dass die Leptospirose eigentlich nicht für die ja bereits seit mehreren Jahren bestehenden Symptome verantwortlich sein konnte. Ich bekam trotzdem als Therapieversuch für 2 Wochen Antibiotika verordnet und wurde entlassen. Die Medikamente halfen aber nicht. Es stellte sich aber auch bis heute kein IgG (Langzeitantikörper) ein, so dass davon ausgegangen werden kann, dass es sich damals um eine unspezifische Erhöhung des Leptospirentiters handelte, der auch unter anderen gleichzeitig aktiven Viren, wie z.B. Epstein-Barr-Viren, ansteigen und "mitreagieren" kann, obwohl keine Leptospirose vorliegt.



In den folgenden Jahren änderte sich an meinen Symptomen nichts. Seit 1998 halten alle bereits geschilderten Symptome an.



Im Jahr 2006 wurde dann von einer Rheumatologin die Diagnose Fibromyalgie gestellt. Ich solle mich sportlich betätigen und ein Muskelaufbautraining beginnen. Dies versuchte ich auch, doch nach der kleinsten Belastung verschlimmerten sich meine Beschwerden erheblich, so dass ich sogar nach jeder krankengymnastischen Behandlung vor Überanstrengung kaum noch nach Hause kam. Die versuchsweise eingesetzten Antidepressiva, die zur Schmerzreduktion beitragen sollten, vertrug ich nicht, so dass diese wieder abgesetzt werden mussten.



Seit 2008 habe ich nun auch phasenweise erhebliche kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen und Wortfindungsstörungen. Ich vertausche Silben, weiß mitten im Satz nicht mehr, was ich sagen wollte. Ich muss, obwohl ich immer perfekt die Rechtschreibung beherrschte, bei Google nachsehen, wie Wörter geschrieben werden und sogar, ob es sie überhaupt gibt. Auch wenn ich perfekt das 10 Finger-System beherrsche, kommt oft beim Tippen nur noch Buchstabensalat heraus.



Seit Beginn meiner Erkrankung gab es einen phasenhaften Verlauf, wobei die Zeiten, in denen es mir richtig schlecht ging, immer länger andauerten und auch in den guten Phasen reduzierte sich im Laufe der Zeit meine Leistungsfähigkeit erheblich und war auf das Erledigen notwendiger Aufgaben beschränkt. Seit Anfang des Jahres 2010 aber hatte ich jedoch nur noch eine "gute" Phase: Ich bekam versuchsweise Cortison und zunächst führte dies zu einer Besserung meines Zustandes. Ich hatte mehr Kraft. Ich war darüber so glücklich, dass ich schonungslos über meine Grenzen ging. Ich musste das Cortison dann wieder absetzen, da es zu einer starken Häufung meiner epileptischen Anfälle und überdies zu starken Muskelkrämpfen kam. Nur wenige Tage später wurde mir deutlich, wie sehr ich mich in dieser 3-wöchigen Phase überfordert hatte. Es kam zu einer starken Zustandsverschlechterung, von der ich mich nicht mehr erholte.


Jede Belastung zieht eine Verschlechterung der Symptomatik nach sich und gehe ich zu oft über meine Grenzen, verschlechtert sich mein Zustand so sehr, dass ich mich durch absolut nichts mehr erholen kann, auch nicht durch lange Ruhephasen und Schlaf. Die Überlastung tritt nicht nur bei körperlicher Aktivität auf, sondern auch bei geistiger Anstrengung. So erschöpfen mich z. B. Gespräche selbst in meinen besseren Phasen oft über alle Maßen und beim Fernsehen oder PC- Arbeit reagiert mein Körper übermäßig mit Symptomen auf die Reize.



Jede Anstrengung rächt sich. In „guten“ Zeiten bedeutet Anstrengung, kleinen Aktivitäten nachgehen zu können, wobei auch dies nur noch Kleinigkeiten sind und ich zwischendurch viele Pausen brauche. In schlechten Zeiten kann „Anstrengung“ schon bedeuten, mich aus der Waagerechten ins Sitzen zu bewegen und länger als einige Minuten in dieser Position zu verweilen. Das Tückische ist, daß ich selbst nach 14 Jahren noch nicht gelernt habe, mir meine Kräfte einzuteilen, weil ich in jede Sekunde auch nur ansatzweise vorhandener Energie mein Leben packe, das ich ansonsten nicht mehr habe. Ich müsste mich stoppen, bevor es zu spät ist – aber wie sehr genieße ich es, einen Hauch von Leben zu spüren! Auch wenn das nur bedeutet, dass ich zehn Minuten länger Fernsehen gucke als es mir gut tut. Sobald es mir einen Tag besser geht, mache ich alles, was ich sonst nicht schaffe – weil ich jedes Mal ignoriere, dass es mir danach umso schlechter geht. Mir fallen ständig so viele Dinge ein, die ich gerne machen würde. Es ist ein ständiger Kampf zwischen „Wollen“ und „Können“, wobei ich durch meinen großen Lebenswillen immer über meine körperlichen Grenzen gehe.



Bei CFS rauscht das soziale Leben an einem vorbei – Freunde, Verabredungen; einfach Dinge zu tun, die einem gefallen, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Aktivitäten auch planen zu können, ohne Angst, kurz vorher absagen zu müssen, weil man es körperlich nicht schafft. Ich bin ein sehr geselliger und offener Mensch, doch die Krankheit hat dazu geführt, dass immer wieder Freundschaften kaputt gegangen sind und ich bei neuen Kontakten schon immer Angst vor der Frage „Und was machst Du so?“ habe, weil ich sofort wieder in Erklärungsnot gerate.



Die Gewöhnung an diese ganzen mürbe machenden Symptome hilft mir zu überleben, wieder und wieder jeden Tag zu überstehen – aber genau sie wirft auch die größten Probleme auf. Wenn Sie aufgrund unerträglicher Schmerzen eine Notfallambulanz aufsuchen, werden Ihnen Ihre Schmerzen angesehen. Ich aber verziehe keine Miene mehr. Mein Körper und meine Psyche haben im Laufe der Jahre den permanent hohen Schmerzpegel und die ständig vorhandenen Einschränkungen als „normal“ adaptiert und daher sieht man mir nicht mehr an, wie es mir wirklich geht. Ich habe selbst, wenn ich innerlich um Hilfe rufe, noch ein Lächeln im Gesicht, welches sich aus Gewohnheit automatisch „abspult“ und selbst wenn es mir noch so schlecht geht, wirke ich nach außen hin meist noch "normal", da ich es gewohnt bin, die Zähne zusammenzubeißen und zu funktionieren. Dies ist im Umgang mit Ärzten fatal, da ich nicht in der Lage bin, das Ausmaß meiner schlechten Verfassung deutlich zu machen. 


Meine Mitmenschen können nicht erahnen, wie es für mich ist, mit all diesen Symptomen nicht nur alleine dazustehen, weder die Kraft zum Leben noch zum Sterben zu haben, sondern auch noch behandelt zu werden, als sei man Hypochonder und müsse „nur mal mit dem Willen dagegen angehen“.


Es ist schlimm, sich einerseits mitteilen zu wollen, sich dann aber andererseits aus Gewohnheit heraus und aufgrund schlechter Erfahrungen zusammenzureißen und „normal“ erscheinen zu wollen. Wie sollen meine Mitmenschen also verstehen, dass ich manchmal noch in der Lage bin, mich mit ihnen auf einen Kaffee zu treffen, gesund zu wirken, dafür aber Tage brauche, um auf den Energielevel von vor dem Treffen zu kommen? Sie erleben mich ja nur in dieser kurzen Zeit und bekommen nicht mit, in welchem Ausmaß ich selbst kurze Aktivitäten büßen muß. Daher sind Sprüche wie „Reiß Dich mal zusammen“, „Jeder ist mal müde“ usw. an der Tagesordnung. Ich habe aber nicht mehr die Kraft, etwas zu entgegnen und versuche aus Resignation, auf „Durchzug“ zu schalten.



Ein großes Problem stellt auch die finanzielle Situation dar. Mein Studium konnte ich nicht mehr aufnehmen und auch keiner anderen beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen und bin, da ich keinen Rentenanspruch habe, auf Sozialhilfe für Erwerbsunfähige (Grundsicherung) angewiesen. Von dieser auch noch Fahrtkosten zu Ärzten und zur Krankengymnastik, nicht rezeptpflichtige aber notwendige Medikamente zu bezahlen, stürzt in permanent vorhandene Existenznöte. Dazu kommt, dass ich mir Therapien, die aufgrund nicht 100%ig per Forschung nachgewiesenen Erfolges nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, nicht leisten kann. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie die Symptome zumindest einigermaßen erträglicher machen können.



Das Schlimme an CFS ist das ständige Leben zwischen Verzweiflung, aufkeimender Hoffnung und Enttäuschung, was Arztbesuche, Akzeptanz und mögliche Therapien angeht. Ein großer Teil der täglichen inneren Not würde aber schon dadurch abgemildert, wenn mehr Menschen CFS überhaupt kennen würden und man sich nicht dauernd erklären und rechtfertigen muss.